Rheinpfalz am Sonntag, 24. Juli 2017
Doubles führen ein Leben zwischen Promi-Glamour und Normalo-Alltag. Nicht allen gelingt es dauerhaft, zwischen Entertainment und Realität zu unterscheiden. Ein Besuch bei einem Ludwigshafener Hollywood-Star.
Wenn Richard Gere aus dem Fenster schaut, dann schweift sein Blick über einen fast 25.000 Quadratmeter großen englischen Garten. Im Hintergrund schwappt sanft die Brandung des Atlantiks an den Steg, Möwen kreisen kreischend am azurblauen Himmel über dem Strandpavillon. Gere meditiert dann vielleicht ein wenig auf der hölzernen Veranda, denkt an sein letztes Treffen mit dem Dalai Lama und krault dann noch ein paar Runden im lichtblauen Pool. Man kann wohl davon ausgehen, dass der US-amerikanische Schauspieler ein ziemlich zufriedener Mensch ist.
Wenn der Mann, der aussieht wie Richard Gere, aus dem Fenster schaut, dann sieht er einen grün-braunen Flickenteppich aus Acker und Wiese. In Sichtweite schlängelt sich die Bundesstraße 44 ihrem südlichen Ende entgegen. Weil der deutsche Frühling es nicht gut meint an diesem Tag, ist der Himmel ein wenig gräulich, ein paar Krähen ziehen ihre Kreise. Thilo Orth hat den Dalai Lama noch nie getroffen, aber man kann dennoch ganz beruhigt davon ausgehen, dass auch der Ludwigshafener ein ziemlich zufriedener Mensch ist.
Orth ist ein Double. Er sieht dem berühmten Hollywood-Schauspieler Richard Gere zum Verwechseln ähnlich. Auf der Seite der Agentur, die ihn vertritt, kann man den 51-Jährigen und andere Doppelgänger für Auftritte auf Veranstaltungen oder Fotoshootings buchen. Wer möchte, bekommt dann beispielsweise für seine Firmenfeier den totalen Promifaktor aus einer Hand: roter Teppich, Stretchlimousine und Fotografen inklusive. „Meistens steht man dann aber nur rum“, sagt Orth. Er sitzt daheim in seiner Wohnung im Ludwigshafener Süden vor eine Tasse Kaffee und lächelt dieses charmant blitzende Lächeln, das man aus unzähligen Hollywood-Romanzen wie „Pretty Woman“ oder „Let’s Dance“ zu kennen meint. „Man ist eben ein Ausstellungsstück.“
Nach Schätzungen von Branchenkennern gibt es weltweit rund 1000 gute Doubles, davon etwa 100 in Deutschland. Manche sehen Politikern wie Barack Obama ähnlich, andere Schauspielern wie Brad Pitt oder Sportlern wie Oliver Kahn. Sie alle eint die rein zufällige Tatsache, einem berühmten Menschen äußerlich zu gleichen. Davon leben kann eigentlich keiner der Doppelgänger, meist ist das Spiel mit der Identität eher ein exotischer Nebenjob.
Eine skurrile Branche ist das, in der ganz normale Menschen stundenweise das Leben eines Promis leben dürfen. Eben noch im grauen Büro, jetzt plötzlich im Blitzlichtgewitter auf der Fashion Week. Was bedeutet das eigentlich für die eigene Wahrnehmung? Wacht man da nicht manchmal am Morgen auf, blickt in den Spiegel und fragt sich: Was wäre eigentlich, wenn mich doch mehr als nur mein Gesicht mit dieser Person verbinden würde? Was, wenn ich wirklich berühmt wäre und nicht nur so aussähe?
„Eine gute Frage,“ – Thilo Orth überlegt eine Weile und sagt dann: „Nein. Ich bin, wer ich bin und bleibe auch, wer ich bin.“ Und überhaupt: „Ich mache das nur zum Spaß. Das wäre ja total schlimm, wenn man sich so auf sein Äußeres versteifen würde. “ Viele Auftritte hat er ohnehin nicht – es gibt derzeit eben angesagtere Schauspieler als den altersweisen Gere. Orth genießt derweil die alltäglichen Verwechslungsspielchen wie bei der Passkontrolle am Flughafen oder die verblüfften Gesichter, wenn er mit den Kumpels unterwegs ist. Mehr aber auch nicht: „Ich bin keiner, der die Öffentlichkeit sucht.“
Ein bisschen gesucht hat er sie aber dann schon, als er schließlich auf Drängen von Freunden ein paar Fotos an eine Double-Agentur schickte. „Aus purem Spaß“, wie Orth erneut betont. Der Agentur gefiel’s, seitdem ist er sozusagen der deutsche Richard Gere. Bringt das nicht auch Verantwortung mit sich? Sind Glatze und Vollbart jetzt etwa tabu?„Klar, man gleicht sich schon ein bisschen an und lässt sich von Frisur und Kleidungsstil etwas beeinflussen. Ich würde aber niemals versuchen, ihn zu imitieren.“ Das Leben Geres oder dessen Karriere verfolge er eigentlich gar nicht.
Einer, der weiß, dass beileibe nicht jeder so entspannt damit umgeht, ist sein Agent Jochen Florstedt. Der 66-jährige Mühlheimer ist als Künstlervermittler ein Urgestein in der Szene, ein kumpelhafter, jung gebliebener Typ mit Sonnenbrille, Rockabilly-Haarschnitt und gesundem Selbstbewusstsein. Er sagt Sätze wie: „Schau dir ruhig die Seiten der anderen Agenturen an. Bei mir sind die besten.“ Den meisten Leuten, die ihm Fotos von sich schicken, muss er dementsprechend eine bittere Wahrheit verkünden: „Ne sorry, is’ leider nich’.“ Das trägt nicht jeder mit Fassung. „Viele antworten mit frustrierten Beleidigungen“, sagt Florstedt, ohne dass ihn das zu überraschen scheint. Er versteht die Verlockung, ein bisschen Ruhm für nichts weiter als einen genetischen Zufall abzubekommen.
Florstedt ist bemüht, seine Branche als reines Entertainment ohne doppelten Boden darzustellen. „Es geht in diesem Job vor allem um den Show-Effekt und darum, Veranstaltungen etwas aufzuhübschen.“ Und natürlich sei das alles auch augenzwinkernd gemeint. Um Täuschung gehe es in dem Geschäft nicht: „Niemand würde sich ernsthaft hinstellen und sagen ’Hier kommt Brad Pitt’. Das ginge ja allein aus rechtlichen Gründen schon gar nicht.“
Dabei weiß er, dass es ganz anders kommen kann. Dass manche Doubles irgendwann die Grenze zwischen Sein und Schein nicht mehr ziehen können. Ein Dieter Bohlen-Double etwa führte ein Doppelleben als Partykönig auf Mallorca – für vierstellige Gagen pro Auftritt. Andere finden aus ihren Rollen nicht mehr heraus, widmen ihr komplettes Leben dem Streben nach der totalen Ähnlichkeit. „Man braucht einen starken Charakter in dem Gewerbe“, sagt Florstedt.
Auch Susanne Knoll war bei dem Agenten unter Vertrag. Knoll, Deutschlands berühmtestes Merkel-Double aus Lübeck, war sieben Jahre lang praktisch die Kanzlerin: Sie fuhr mit einer Limousine und Bodyguards durch Berlin, nahm ein Musikvideo mit Udo Lindenberg auf, hielt Reden vor Managern. Aus der geschiedenen Hausfrau und Mutter, die zu Beginn ihrer Double-Karriere schwer krank war und in einer Lebenskrise steckte, wurde ein selbstbewusster PR-Profi. Mittlerweile ist sie ausgestiegen und selbst politisch aktiv – für die SPD.
In der Wohnung im Ludwigshafener Süden erzählt Thilo Orth von seinen Motorradtouren und den Reisefilmen, die er dabei dreht. Und dann von seinem Job als Projektleiter in einem Ingenieurbüro. Und schließlich noch von seiner Band, in der er als Bassist spielt. Man merkt: Orth hat die Grenze ganz klar gezogen – Richard Gere spielt in seinem Leben höchstens eine Statistenrolle.