Rheinpfalz am Sonntag, 12. Februar 2017
Kim Ekdahl Du Rietz lebte als Profisportler den Traum vieler Nachwuchsspieler. Er sah das allerdings anders – und beendete seine Karriere vorzeitig. Ein Gespräch mit einem, der die Handballschuhe auszog, um sein Glück zu finden.
Dass sich der Handballprofi Kim Ekdahl Du Rietz nicht wirklich für Handball interessiert, das konnte man schon spüren. Wer ihn nach einem Spieltag seiner Rhein-Neckar-Löwen traf, vielleicht in seinem Stammcafé in Heidelberg oder bei ihm daheim auf einen Gin Tonic, und ihn mit einem etwas unbeholfenen Schulterklopfen auf seine Leistung ansprach, der prallte von diesem 1,94 Meter-Hünen einfach ab. Unhöflich oder patzig wurde er nie, aber es war ihm anzusehen, dass er einfach nicht verstand, was es zu diesem Spiel jetzt noch zu sagen gab. Wo man doch über so viele andere, wirklich interessante Dinge bei einem Drink reden konnte.
Trotzdem soll es an diesem grauen Januartag um Handball gehen. Vielleicht zum letzten Mal. In diesem Sommer beendet Kim Ekdahl Du Rietz seine Karriere. Mit 27 Jahren und ein Jahr vor Ablauf seines Vertrags. Er war Deutscher Meister, EHF-Cup-Sieger und Olympiazweiter, derzeit ist er wohl in der Form seines Lebens. Noch Jahre hätte er auf Top-Niveau spielen können, auf seiner Position im linken Rückraum gibt es auch international nur wenige Spieler, die seine Klasse auf die Platte bringen. Und dass jemand den gut bezahlten und komfortablen Traumberuf des Profisportlers frühzeitig und freiwillig aufgibt, kommt ohnehin so gut wie nie vor. Aber der Schwede will nicht mehr.
Kim Ekdahl Du Rietz, haben Sie Ihre Entscheidung schon bereut? Überhaupt nicht. Seit ich gesagt habe „Ich höre auf“, fühle ich mich so viel freier. Endlich kann ich sagen, was ich denke. Irgendwie hat mich schon immer am Mannschaftssport genervt, dass man sich zum Wohl der Mannschaft in so einen Rahmen pressen lassen musste. Da hieß es dann schon mal: „Was hast du da schon wieder gesagt?“ Und ich dachte nur: „Das ist doch egal, wenn du nicht die Zeitung liest.“ Eigentlich bin ich im Herzen wohl eher ein Einzelsportler.
Sie haben sich eingeengt gefühlt? Auch wenn es komisch klingt: Handball war nie mein großes Interesse. Deswegen war es so schwer, diese immer gleichen Fragen zu beantworten: „Freust du dich auf das nächste Spiel?“ Da sagt man natürlich: „Ja klar, es wird schwer, wir müssen alles geben“, und so weiter. Aber dabei musste ich mich immer ein bisschen zusammenreißen. Mehrmals hatte ich das Gefühl, das bin jetzt gerade nicht ich, der da redet.
Mit 16 Jahren haben Sie in der ersten schwedischen Liga debütiert. Träumt man da als junger Sportler nicht automatisch von einer Profikarriere? Klar war das cool: Man ist noch in der Schule und spielt plötzlich erste Liga. Mit den ganzen Zuschauern, da konnte ich damals schon brennen und war richtig heiß. Aber Profiträume? Ich glaube nicht. Ich wollte eigentlich auch nie ins Ausland gehen. Ich hatte in Schweden alles, was ich brauchte: Meine Kumpels, die Familie. Und nur Handball zu spielen? Nee, vor allem nicht Bundesliga. Von der hieß es immer, das ganze Leben sei da nur Handball. Da dachte ich eigentlich, das ist nix für mich.
Aber man kann doch da nicht einfach so hineinrutschen? Doch irgendwie schon. Bei der Heim-WM 2011 lief es nun mal für mich. Danach kamen die Angebote. Und dann hab’ ich mir gedacht, naja wenn ich jetzt zwei Jahre irgendwo hinziehe und es mir nicht gefällt, dann hab’ ich im besten Fall ein bisschen Kohle zurückgelegt, um mir eine kleine Wohnung in Lund kaufen zu können. Und dann habe ich eine Basis, um mit meinem Leben etwas Sinnvolles anzufangen. Aber das eine führt dann zum anderen. Seit vielleicht drei oder vier Jahren war es aber so, dass Aufhören sich gut angefühlt hätte. Davor habe ich das eigentlich nicht infrage gestellt. Man macht das halt.
Was hat Sie daran gehindert, einfach aufzuhören? Die Vorteile waren einfach noch zu groß. So viel Geld für so wenig Arbeit, das bekomme ich nie wieder. Ich glaube, das empfinden viele so, auch wenn sie es nicht zugeben würden. Wenn es keinen Spaß gemacht hat, war Geld der Ausgleich, der mir später Freiheit versprochen hat. Hätte ich jetzt noch ein paar Jahre gemacht, wäre ich für immer abgesichert gewesen. Das war zum Greifen nah. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo es keine Rolle mehr spielt. Geld ist schön, aber ich will etwas finden, was mich wirklich erfüllt.
Was hat Ihnen in den vergangenen Jahren im Handballsport gefehlt? Ich habe gemerkt, es bringt mich als Mensch nicht weiter. Ich kann das hier jetzt, und ich weiß wie es geht: Jeder spielt gegen jeden, dann guckt man wer gewinnt und dann macht man das nochmal. Ich liebe es ja eigentlich, Spiele zu spielen, aber im Handball ist dieses Gefühl merkwürdigerweise verloren gegangen. Die Frage nach dem „Warum“ habe ich mir tausendmal gestellt. Ich werde das vielleicht auch nie komplett verstehen. Aber das spielt auch keine Rolle mehr, bei einem bin ich sicher: Ich will das nicht mehr.
Vielleicht war das auch mal anders. Am 24. Mai 2014 zeigt die Anzeigetafel in der Gummersbacher Schwalbe-Arena 17:38 Uhr, als die Nachricht die Halle erreicht. Der 40:35-Sieg der Rhein-Neckar-Löwen gegen den VfL Gummersbach hat nicht gereicht. Am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison zieht der THW Kiel an den Kurpfälzern vorbei und wird Deutscher Meister. Wegen einer um zwei Treffer besseren Tordifferenz. Unten auf dem Feld sackt Kim Ekdahl Du Rietz weinend in sich zusammen. Auch seine acht Treffer waren nicht genug.
Irgendwie fällt es schwer sich vorzustellen, dass man jahrelang etwas auf Topniveau betreiben kann, was einen gar nicht interessiert… Naja, vielleicht treibe ich das jetzt im Nachhinein auch etwas auf die Spitze. Manchmal ist es schwer sich in sich selbst hineinzuversetzen und zu sagen: „Wie hab’ ich damals gefühlt?“ Vielleicht war das ja wirklich in der Jugend mal anders, aber das habe ich alles vergessen. Meine Kumpels waren jedenfalls nicht überrascht. Die haben gesagt: „Wir haben seit du 18 bist gewusst, dass das eigentlich nicht dein Ding ist.“
Ja, aber wie motiviert man sich da? Es gab ja Momente, die schön waren und natürlich hat es zwischendurch Spaß gemacht. Und dann ist da auch noch der persönliche Ansporn. Es war mir schon wichtig, gut zu spielen und meine Leistung abzuliefern. Hängen lassen würde ich mich nie, man hat ja seine Aufgabe zu erfüllen. Ich fühle mich immer noch schlecht, wenn ich schlecht spiele.
Man meint ja, jeder Profisportler liebt seine Beschäftigung. Haben Sie das Gefühl, dass das bei manchen nur Fassade ist? Das kann ich so pauschal nicht sagen. Aber ein gutes Beispiel war immer die Nationalmannschaft. Da hieß es ja häufig, entweder gehst du dorthin oder du hast Urlaub. Gefühlt waren da immer alle unzufrieden vor den Spielen.
Als Sie dann 2014 Ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündeten, hieß es, Sie hätten den Handball nie geliebt. Hat Sie das getroffen? Mir wurde in meiner Karriere immer wieder vorgeworfen, dass mir alles egal wäre und ich alles auf die leichte Schulter genommen hätte. Manchmal habe ich das schon an mich rangelassen, weil ich wusste, dass es von außen so wirken konnte. Aber wenn ich auf dem Feld stand, habe ich immer mein Bestes gegeben.
Talent ist ja angeblich ein Privileg, das man zu ehren hat… Das ist für mich einfach Schwachsinn. Zuerst mal, in meinen Augen war ich nie ein Riesentalent. Rein handballerisch war ich schon immer ein paar Schritte hintendran. Aber meine Stärke war, dass ich immer trainiert habe. Schon früher, wenn die anderen feiern waren, bin ich in den Kraftraum …
… obwohl Sie keine Lust hatten?Also das körperliche Training, das an mir arbeiten – das hat mir Spaß gemacht. Dazu habe ich mir massenhaft Trainingsliteratur angeschafft. Aber das hatte ja nichts mit Handball zu tun. Das war einfach für mich selbst.
Es kommt in der Sportwelt oft vor, dass die feinen Zwischentöne zugunsten einer guten Story übersehen werden. Über Kim Ekdahl Du Rietz konnte man deshalb immer wieder lesen, er sei ein Paradiesvogel oder Bohème – einer, der in der Heidelberger Altstadt zusammen mit seiner Freundin in einer Studentenbude haust, einen japanischen Kleinwagen fährt und seine erfolgreiche Karriere beendet, um auf Weltreise zu gehen. Ein Hippie fast, der perfekte Gegenentwurf zur schillernden Hochglanzfassade des Profisports. Manches davon trifft gerade so in etwa zu, anderes ist schlicht falsch. Seine ausgebaute Dachgeschosswohnung im gutbürgerlichen Stadtteil Neuenheim könnten sich wohl die wenigsten Studenten leisten, der japanische Kleinwagen wird vom Sponsor gestellt und wer Ekdahl Du Rietz mit seinem angeblichen Plan einer Weltreise konfrontiert, bekommt eines seiner dröhnenden Gelächter zu hören: „Keine Ahnung, wer das erfunden hat. Das ist totaler Quatsch.“
Ist ein Sportler direkt ein Exzentriker, wenn er mal ein Buch in die Hand nimmt und kein Luxusauto fährt? Ich denke es wird einfach sehr oft von den Medien so zugespitzt, weil man mich mit den anderen Sportlern vergleicht. Wenn ich kein Sportler wäre, dann wäre ich mit meinen Interessen ein ganz normaler Mensch. Aber ja, die Unterhaltungen, die man sonst so hat im Leben, die haben mir in Handballkreisen gefehlt. Es ist schon sehr einspurig.
Ein Psychologiestudium macht nun mal nicht jeder Sportler nebenher. Ach, das war eigentlich nur für meinen Kopf und damit ich das Gefühl habe, dass sich was bewegt. Als Handballer hast du vormittags Training und dann den ganzen Tag frei. Die Zeit muss man ja irgendwie füllen.
Hat Sie diese Einstellung innerhalb der Mannschaft isoliert? Nein, das überhaupt nicht. Ich habe mich in all meinen Mannschaften sehr wohl gefühlt, das war alles gut. Aber tiefe Freundschaften hatte ich eher nicht im Sport.
Was kommt jetzt nach der Karriere? Ich kündige erst mal meine Wohnung. Ja und dann … ich werde erstmal keine Wohnung und kein Zuhause haben. Mehr weiß ich nicht.
Das ist alles? Ich will auf jeden Fall mit meiner Freundin weg aus Deutschland und eine neue Sprache lernen. Das ist sowieso eine der Hauptmotivationen für mich. Beim Sprachen lernen ist das schöne, dass man jeden Tag ins Bett geht und das Gefühl hat, etwas Neues zu können. Das treibt mich an.
Setzt Sie das unter Druck, jetzt keinen Plan zu haben? Nein, für mich ist das eine extreme Freiheit. Geld an sich ist egal. Aber ich habe Autonomie und Selbstständigkeit immer geschätzt und mich für viele Dinge interessiert, von denen ich nicht wusste, ob man davon leben kann. Jetzt kann ich all das machen.
Was hat Ihnen der Handball finanziell ermöglicht? Ganz ehrlich, wenn ich mein Studentenleben hier so weiterführen würde, müsste ich nie mehr arbeiten. Manchmal, von außen betrachtet, denke ich schon, es ist ein Traum. Wenn ich da an meine Freunde denke, die immer kämpfen müssen, ein Job hier, ein Job da. Ich hatte die Möglichkeit, so viel Geld zu verdienen und trotzdem – jetzt ist es so wie es ist.
Werden Sie glücklicher sein? Naja, ich glaube, man macht immer Dinge und trifft Entscheidungen, damit man danach glücklicher ist. Damit sich etwas ändert und es einem danach besser geht. Das ist zumindest meine Hoffnung. Ich weiß immerhin, womit ich unzufrieden bin – und davon schlage ich mich jetzt frei. Ich freue mich auf diese Unsicherheit, dass ich keine Ahnung habe, wo ich in einem Jahr sein werde oder in fünf.